Der Sheenjek River führt durch fast jede Vegetationszone die Alaska zu bieten hat und liegt fernab jeglicher Zivilisation.
Entstehend aus den umfangreichen Gletschern in den Romanzof Bergen,fließt der Sheenjek River über 240 Meilen südwärts bis zur Vereinigung mit dem Porcupine River, nahe dem Zufluss in den mächtigen Yukon. Hier liegt Fort Yukon, welches das Ziel unserer Reise ist.
Im Tal der Double Mountains, windet sich der Sheenjek in großen Schleifen vorbei am Last und Lobo Lake. Hier fließen kleinere Bäche aus einer mit Weisfichten spärlich bewachsener Hochebene zu. Dann durchquert er eine mit Wiesen, Weidenbüschen und zwergartigen Birken bewachsene Ebene, wird  breiter, flacher und langsamer. Oft geteilt durch kleine Inseln, von wo man noch einmal die fernen Berge sehen kann, verzweigt er sich in kleine Kanäle, zeigt den Weg durch die Tundra zu den Borealen Wäldern mit großen Fichten, Weiden, Birken und offenen Buschwiesen.
Danach lebt der Fluss noch einmal kurz auf, das Gefälle wird größer, die Kanäle enger. Nach der Einmündung des Koness River, fließt der Sheenjek träge dahin, um weit ausgedehnte Kiesbänke in langen sich windenden Schleifen bis zu den Yukon Flats.

Tag 18 – Brauni Bär und Little Wolf

Wegen seiner mehrjährigen Erfahrung im Nordland fährt Bob die meiste Zeit voraus. Er hat die Flusskarte und die Erfahrung, den richtigen Weg zu finden. Der Abstand zwischen den Booten variiert ständig. Wenn der Wind uns nicht zu kräftig  entgegenbläst ist unser Boot mit Steve und mir als Steuermann an zweiter Stelle, immer bemüht den Sichtkontakt zu halten.

Unsere Schlagzahl war in den vergangenen Minuten monoton gleich geblieben und doch haben wir kräftig aufgeholt. Unser Führungsboot treibt vor sich hin. Kleine Rauchwölkchen steigen fast senkrecht über den Kopf des Steuermannes, welcher sich in solch ruhigen Passagen oft ein Zigarillo gönnt. Geräuschlos gleiten wir längsseits.

„Habt ihrs gehört?“, werden wir gefragt, doch keiner weiß so recht, worauf er hinaus will.

„Das  Wolfsgeheul“ Seine Hand zeigt nach rechts über den hellgrünen Ufergebüschstreifen, der beidseitig von einem dunklen Fichtenwald begrenzt wird. Dabei verlässt eine kleine Rauchwolke seinen Mund, zieht dem Sog seiner Handbewegung hinterher. „Eigentlich sind wir knapp dran nach dieser Zwangspause“ - unsere Blicke treffen sich. Er weiß genau dass ich nur dabei bin, weil er versprochen hatte, dass wir genügend Zeit haben werden, um diese Landschaft auch entdecken zu können. „O.K. -  lasst uns anlegen, vielleicht sehen wir etwas.“

Im schmalen, sandigen Ufer haben Wölfe und Bären unzählige Spuren hinterlassen. Wolfspfade ziehen sich durch das Buschwerk ins Hinterland und die Grizzlys bevorzugen offensichtlich den kleinen, trockenen Creek neben unserer Anlegestelle.

Nachdem das Zelt aufgeschlagen und alles eingerichtet ist, ziehe ich los, bewaffnet mit Fotoapparat und Fernglas, vom Fluss weg  einem Wolfspfad folgend Richtung Hinterland.

Schon ein paar Meter hinter unserem Camp wird das Weidengestrüpp zu einer grünen Mauer. Im Blindflug, die Arme schützend vorm Gesicht, versuche ich hindurch zu kommen. Die Äste reißen an der Kleidung als wollen sie den Eindringling daran hindern, noch weiter vorzudringen. Ich winde, beuge, verbiege mich, verliere kurz die Orientierung in dieser urwüchsigen Wildnis und stoße auf einen neuen Wildpfad. Das Vorwärtskommen wird leichter und das Buschwerk öffnet sich. Sonne durchflutet das Grün, bringt wohltuende Wärme mit sich.

Plötzlich fährt mein Körper zusammen, alle Nerven und Muskeln sind sofort auf Alarm programmiert. Es dauert lang, viel zu lang bis sich auch der Kopf dieser Situation anpasst.

Keine dreißig Meter vor mir schlendert ein stattlicher Grizzly über den Kies.

Durchs Fernglas betrachtet wirkt er so bedrohlich nah, dass ich kurz das Glas absetze. Mit einem Fisch im Maul, der zwischen seinen Vorderbeinen über den Kies schlägt, trottet er gemütlich ins nahe Gebüsch auf der anderen Seite eines kleinen Flusses. Jede Einzelheit, selbst  Wassertropfen, die an seinem nassen Pelz abperlen, sind deutlich zu erkennen und hinterlassen eine dunkle Fährte auf den hellen Steinen.

Vor mir liegt ein trockener, halb verrotteter Baumstumpf zwischen einigen Sträuchern direkt am Ufer, welches auf meiner Seite einen Meter steil ins Wasser abfällt. Einen besseren Logenplatz kann ich mir jetzt nicht vorstellen. Durch die Sträucher vom Fluss her geschützt, lassen sie doch den Blick des Beobachters ungehindert hindurch. So nehme ich Platz, genieße die Wärme und Ruhe, nur durch die entfernten Schreie der Krähen gestört und vom gelegentlichen Schlag einer Schwanzflosse.  Schwanzflosse ???

Nun sehe ich erst die vielen Lachse, die direkt vor mir reglos im Wasser treiben, nur gelegentlich mit einer schnellen Schwanzbewegung auf sich aufmerksam machend. Jetzt bin ich mir sicher, ihn nochmals zu sehen, denn er ist dabei sich seinen Winterspeck anzufressen.

Etwas weiter oberhalb entdecke ich einen Biberdamm. Dort wo sich sein Ablauf befindet  kann ich gut erkennen, wie sich einige Lachse abmühen, in dem doch recht stark fließenden Wasser, empor zu schwimmen. Jedoch lässt sich aus dieser Entfernung schwer feststellen, ob es einer schafft. Jedenfalls ist an dieser Stelle Bewegung im Fluss.

Zeit ist relativ an einem Ort wie diesem. So muss der Garten Eden ausgesehen haben, jedenfalls kann ich ihn mir zu diesem Zeitpunkt nicht schöner vorstellen. Ich glaube die Schönheit an sich bringt uns außerhalb unserer selbst, an einen Ort jenseits des Denkens und  lässt uns eins werden mit allem um uns herum.

Nach geraumer Zeit platscht es hinter mir im Bach, da ist er wieder, der Grizzly…

 

 

 

 

 

 

Fort Yukon

… Mitten auf der Hauptstraße treffen wir auf eine junge Frau, die so gar nicht nach Athapaske ausschaut. Freude strahlend werden wir von ihr begrüßt. Sie fragt uns nach dem woher und wohin, und das ihr Freund schon in Deutschland war. Das gibt mir Gelegenheit neugierig über die Gwich’in und den Caribou nachzufragen. Etwas erstaunt darüber, setzt sie ihr fröhliches Lächeln wieder auf und gibt bereitwillig Auskunft.

„Die Gwich’in haben das Recht, ihre eigene Lebensart fortzusetzen, vertraglich bestätigt bekommen durch Internationale Vereinbarungen. Diese große Nation von Nordalaska und Nordkanada hat eine althergebrachte Position in diesem Land.“ Sie greift meinen Arm um mich sanft an den Rand der Straße zu ziehen. Eine alte Frau auf einem Quad knattert an uns vorbei und hält direkt vor der Post.

„Zu Beginn aller Zeiten, lebten Caribou und Menschen friedlich zusammen, zogen gemeinsam durch das Land und halfen einander. Selbst als der erste Mensch ein Caribou erlegte, blieb diese Beziehung. Jedes Caribou behielt einen Teil von einem menschlichen Herzen und auch der Mensch bewahrte einen Teil des Caribouherzen und seither wissen beide, was der Andere denkt.

Mein Volk hat eine ganz besondere Beziehung zum Caribou. Heute erlegen wir ca. zwei bis dreitausend Tiere zur Eigenversorgung, sehr viel weniger als damals, denn alles ist genau geregelt. Diese riesige Porcupine Caribouherde mit ca. 180 000 Tieren wandert seit 20 000 Jahren in diesem Kreis. Sie folgen ihrer Bestimmung, Nahrung und Geburt und die Gwich’in folgen ihr seit 10 000 Jahren. Diese Tiere sind die letzten Wanderer auf dem Nordamerikanischen Kontinent. Dann kommt der Mensch, und seine Gier nach Öl zerstört alles was seit Tausenden von Jahren Bestand hat – jagt einen kurzen Traum nach.

So hat sich auch diese Herde, durch ständig wachsende Umwelteinflüsse in den vergangenen zwanzig Jahren um ca. 60 000 Tiere verkleinert.“ Ihr Blick, der bisher fröhlich von einem zum anderen wanderte, liegt jetzt stechend ernst in meinen Augen.

„Wir haben die Verpflichtung, für zukünftige Generationen diese Dinge zu schützen und sie zu erhalten, was nicht leicht ist in einer Zeit, wo das Geld und die Politik das Geschehen bestimmen. Und wir freuen uns auf Menschen, wie ihr es seit, die sehen und spüren und helfen, unsere Gedanken in die Welt hinaus tragen.“

Wahrscheinlich sieht sie mir an, dass mich dies alles etwas überfordert. Sie zwinkert mir zu, verabschiedet sich höflich und verschwindet in der Schule. Ihre Worte sollten mich noch sehr lange begleiten…

 

 

 

 

 

 

 

 

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